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D - Gasteinertal/Dokumentation: Originalabschrift zur Trinkkur von Dr. Gustav Pröll
Dokumentation, Gasteinertal  Doku : Dr. Gustav Pröll

Gasteinertal . Dokumentation

» Trinkkur in Gastein «

Dr. Gustav Pröll, 1862

Archiv

für

B a l n e o l o g i e

unter Mitwirkung des Herrn
PROFESSOR DR. LÖSCHNER
HERAUSGEGEBEN
von
Hofrath Dr. Spengler
I. BAND, I. HEFT

NEUWIED.
Verlag der J. H. Heuser'schen Buchhandlung
1862

Ueber die Trinkkur in Gastein und die Versendung des
Gasteiner Thermalwassers

Von

Dr. Gustav Pröll,

Brunnenarzt in Bad Gastein.

Beides wird wohl den meisten der verehrten Collegen etwas neues sein, da in den ziemlich zahlreichen Literatur- und Journal-Artikeln über Gastein nichts darüber zu lesen ist, noch die zurückkehrenden Badegäste darüber erzählten. - Und doch wird man sich bald ebenso wundern über die so lange Nacht, die in dieser Beziehung herrscht, als man sich wundert, warum in Karlsbad und andern Bädern so lange blos gebadet und nicht methodisch getrunken und noch mehr, warum es nicht versendet wurde. Wenn man die Geschichte der ersten Versendung des Karlsbader Wassers hört, welche enorme Mühe, Unerschrockenheit und Consequenz der edle Arzt bedurfte, der sie zuerst ein- und durchgeführet, und damit das enorme Geschäft der Versendung der verschiedenen Karlsbader Wässer vergleicht, der wird neuerdings die Thatsache bestätigt finden, dass jeder Anfang schwer ist, und dass er sich geduldig über die Vorurtheile der Zeitgenossen hinaussetzen, des-

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enungeachtet aber unverdrossen fortarbeiten müsse. - Dasselbe ist auch in Gastein der Fall. - Seit Jahrhunderten hat man in Gastein beim Baden nebenher auch die warme Quelle getrunken und trinkt sie noch - aber schrieb die guten und schlechten Wirkungen dem Baden und nicht dem Trinken zu; auch trank man meist im Bade selbst, und legte sich dann, statt nach dem Trinken Bewegung zu machen, wegen des gebrauchten Bades auf 1 Stunde ins Bett. Aber von einer methodischen Trinkkur ohne zu baden, was doch zur exacten Kenntniss der Wirkungen dieser Gebrauchsweise unumgänglich nöthig ist, war ebenso wenig die Rede, als von einer Trinkkur des versendeten Gasteiner Wassers, oder gar von der Verwendung des versendeten zum äusseren Gebrauche. Zwar spricht Dr. Kiene in seinem Werke über die Vortheile des Trinkens der Gasteiner Quelle und gibt ganz richtig die passenden Krankheitsfälle an, aber er liess meines Wissens nie eine blosse Trinkkur anwenden, da ich doch die zwei letzten Jahre seines Wirkens an seiner Seite in Gastein practicirte und zuletzt alle seine Patienten übernahm. - Er sagt in seinem übrigens sehr guten Werke: "Die warmen Quellen zu Gastein" S 281: "In der Regel wird das Trinken gleichzeitig mit den Bädern verbunden, und gerade durch diesen vereinten Gebrauch des Thermalwassers in manchen Krankheitsformen ein glücklicheres Resultat gewonnen, als bei der einseitigen Anwendung desselben." Diesen Passus muss ich geradezu von Seite der exacten Naturforschung und von Seite der Erfahrung widersprechen. Wie kann man von einem minder glücklichen Resultat bei einseitiger Anwendung sprechen, wenn man nur einige Tage die Therma trinken lässt, und nicht methodisch so lange bis der Sättigungspunkt eintritt, wenn man dabei die so nöthige Nachkur, d. h. Vermeidung aller medicamentösen Einflüsse vernachlässigt. - Aber der Grund, warum von jeher nicht blos in Gastein, sondern auch in anderen Badeorten, wo sehr gegen die einseitige Trinkkur geeifert wird, ist Theils in der Furcht von Zeit- und Geldverlust von Seite der Patienten, theils in der Eifersucht der Badehausbesitzer zu suchen. Wenn ein Arzt seinen Kranken blos die Trinkkur anempfehlen würde, mit dem ernsten Verbote ein Bad zu nehmen (eines zur Reinigung ausgenommen), der kann sicher auf die Feindschaft der Hausherren rechnen, es wäre denn, dass der Patient die nicht genommenen Bäder sammt Dependenzen (Wäsche - Trinkgelder) bezahle, was zwar während der hohen Saison höchst billig wäre, und von mir

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stets eifrig befürwortet wird, wozu sich jedoch die Wenigsten herbeilassen. Und wenn ein Arzt seines Eides eingedenk, nur um seine Pflicht und sein Gewissen, nicht aber um die Gunst des Hausherrn und Gefolge sich kümmert, so gehorchen doch die Patienten dem Badearzte keineswegs, wenn sie nicht von ihrem langbewährten Ordinarius dem sie alles Vertrauen schenken, eigens mit der Weisung, blos die Trinkkur zu gebrauchen, nach Gastein gesendet werden. - Man muss die Sache nur nicht vom grünen Tische aus, sondern von praktischer Seite betrachten. Man denke sich den Kranken den ganzen Tag umgeben von seinen Leidensgefährten, die alle baden und ihn täglich und stündlich auf Spaziergängen, beim Speisen etc. fragen: "Wie viel Bäder haben Sie schon genommen? oder wie bekommen Ihnen die Bäder?" und diese Fragen bis zum Ueberdruss den ganzen Tag wiederholt, und die Antwort: "Ich bade nicht, ich trinke blos," mit Gespötte begleitet: dafür die Wunderwirkungen der Bäder angepriesen. Er kann sich da wundern, wenn der nicht vertrauensfeste Kranke, so von allen Seiten mit Gegenvorstellungen bombardirt, die Feindschaft der Hausherren fürchtend, entweder offen dem Badearzte Gehorsam aufkündet, oder wenn er nicht den Muth dazu hat, heimlich badet, ohne Erlaubnis, ohne Leitung und den Arzt flieht, (um nicht in Verlegenheit zu gerathen), oder zum ersehnten Bade zu kommen, offen zu einem anderen Arzte seine Zuflucht nimmt. Ich frage nun, woher soll die exacte Kenntnis der Wirkungen einer Trinkkur kommen, und doch wird so oft und mit Recht an einen Brunnen- oder Badearzt von Collegen, die Frage gestellt: Welche Wirkungen haben Sie von den Gasteiner Thermen als Trinkkur beobachtet? - Wie spärlich müssen die Antworten ausfallen. Jetzt, wo die Lehre von den Gesundbrunnen (fontes medicatae, denn Balneologie ist eine sehr einseitige Bezeichnung), in der Reihe der Wissenschaften nach langer Vernachlässigung eintritt, ist es Zeit, dass dieser Gegenstand auch von Seite der practischen Aerzte geprüft und erledigt werde; denn von dem practischen Arzt allein kann diesem Unfug in den Kurorten gesteuert werden. Denn sie sinds, die ihren Patienten die gemessene Ordre ertheilen können, bloss die Trinkkur oder bloss die Badekur zu gebrauchen - oder was das beste und eigentlich collegial von den P.T.H.H practischen Aerzten wäre, ganz dem Brunnenarzte es zu überlassen, ob er nun die Trinkkur allein und die Badekur allein oder beide im Verein verordnet. Denn

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1) hat dieser, weil es seine Specialität ist, bessere Kenntniss von seinem Brunnen, 2) können sich bei aller durchdringenden Kenntnis der Heilquelle von Seite des Hausarztes, sowohl auf der Reise nach Gastein, als während des Aufenthaltes dortselbst Umstände eintreten, die das noch so rationelle Programm des Herrn Ordinarius bedeutend modificiren müssen, was nur der persönlich gegenwärtige, nicht aber brieflich consultirte Arzt vermag. Die verehrten Herren Collegen ersuche ich hiermit im Interesse der Wissenschaft und Humanität, ihren Kranken einzuprägen, sich durch keinerlei Gegenvorstellungen und Verlockungen von den Verordnungen des Brunnenarztes, den sie sich gewählt haben, abhalten zu lassen, sonst kommt die Lehre von den Gesundbrunnen nie auf einen grünen Zweig. Man sollte daher auch den Namen Balneologie (dass überdies ein vocabulum hypridum ist) mit einem passenderen vertauschen (etwa Krenologie oder Pegologie), denn im Worte Balneologie ist die Trinkkur eben so wenig enthalten, als der Name Badearzt dieselbe enthält, der Name Brunnenarzt ist viel besser. - Soweit über die Trinkkur a priori. Nun erlaube ich mir meine Erfahrungen über dieselbe (ohne gleichzeitige Badekur gebraucht), anzugeben. Zwar sind dieselben aus oben angeführten Grunde sehr sparsam, aber dessenungeachtet sehr wichtig. - Während der 11 Jahre meiner Praxis in Gastein konnte ich nur 10 reine in Gastein selbst und etwa 50 ausserhalb Gastein mit dem versendeten Thermalwasser ausgeführte Trinkkuren beobachten. Was zuvörderst die in Gastein selbst beobachteten reinen Trinkkuren betrifft, so machte ich die interessante Beobachtung, dass bei dem methodisch fortgesetzten Trinken sich ganz ähnliche Wirkungen und nach denselben kritischen Erscheinungen und Zeitintervallen dieselben Phänomene der Sättigung und Nachwirkung zeigten, wie nach dem methodisch fortgesetzten Baden. Ebendasselbe erfuhr ich von denen, welchen ich die Gasteiner Therme gesendet hatte. Sowohl in Gastein als ausserhalb wird die Therme sowohl warm, als ganz erkaltet, oder beim Versendeten wieder erwärmt zum Trinken benützt, und in diesen Temperatur-Gegensätzen entfaltet es auch ganz entgegengesetzte Wirkungen. Das Gasteiner Thermalwasser warm getrunken macht bei circa 1/2 der Patienten Verhaltung der Stuhlungen, Hartleibigkeit, während dasselbe Wasser ganz kalt getrunken, eiche und mehrere Stuhlgänge verursacht. Nur bei den meisten fettleibigen, phlegmatischen und sehr anämischen und an

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Brightischer Nierenkrankheit leidenden Individuen etc. fand ich die Ausnahme, dass dieselben durch das warme Wasser weiche Stühle bekamen. Leider fehlen noch die physiologischen Versuche mit dem warmen und erkalteten Thermalwasser, eine einzige Prüfung durch eine edelherzige Dame ausgenommen: denn 1) die gesunden Begleiter der Patienten wollten sich trotz meiner Bitten und Furcht, es möchte ihnen schaden, nicht herbeilassen, die eine oder die andere Wasserart lange und methodisch zu trinken; 2) durfte ich in manch seltenen Fällen, wo sich Einer und der Andere herbeiliese, selbst den Versuch nicht erlauben, weil sonst im Falle, wenn bedeutendes Unwohlsein in Folge der Prüfung eintritt (was zur Ermittlung der Wirkungen nöthig ist), die leidende Hauptperson auf keine Pflege der krankgewordenen Begleiterin rechnen kann; 3) auch die bevorstehende Rückreise warnt zur Vorsicht; 4) die Einheimischen sind daran schon gewöhnt, oder die nicht Gewöhnten fanden trotz meiner Bitten und Versprechungen keine Zeit; und 5) ich selbst war bisher mit den physiologischen Versuchen des Bades an mir selbst jedes Frühjahr und jeden Herbst so beschäftigt, so dass ich nicht zu gleicher Zeit auch physiologische Versuche mit dem Trinken machen konnte. Das Gasteiner Thermalwasser wandte ich je nach der Idiosynkrasie (Temperament und Krankheitsform) der Patienten im kalten oder erwärmten Zustande als Trinkkur an, und zwar fast in denselben Fällen, welche Dr. Kiene S 288 anführt. a) Chronische Katarrhe, Verschleimungszustände der Luftwege, auch wenn diese Zufälle von einer asthenischen Entzündlichkeit begleitet sind. b) Magenkrämpfe, Säurebildung, Verschleimung in den ersten Wegen und daher rührende geschwächte Verdauung: selbst bei beginnender Verdickung der Gewebe des Magens und der benachbarten Gebilde erweist sich das Trinken der Therme recht nützlich. c) Leichtgradige Stockungen, erhöhte Venosität des Unterleibes, besonders mit dem Zustande der krankhaften Reizung oder Ueberreizung, Bauchserophein, Verschleimung und Verstopfung des Darmkanals. d) Rheumatismus, Gicht, Haemorrhoiden, vorzüglich aber Diarrhöe und andere Metastasen, die aus diesen primären Affectionen ihren Ursprung ableiten; Merkurialnachexie, Psora.

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e) Sand und Gries, Schleimflüsse und Hämorrhoiden der Blase, des Uterus, Mastdarms, Harnverhaltung. Soweit Dr. Kiene. Die Fälle , in welchen ich die Trinkkur mit Nutzen anwenden liess, waren folgende: a) Chronische Entzündung der Schleimhäute, theils mit Exsudaten im submucösen Zellgewebe, theils mit Abstossen des Epitheliums und beide Formen sowohl in den Respirations- als auch Digestionsorganen; aa) hierher gehören 2 Fälle von Keuchhusten im 2. Stadium an 2 jugendlichen weiblichen Individuen (eine von 17 und eine von 25 Jahren), welche denselben von der Reise mitbrachten und auffallend schnell blos durch die Trinkkur von 8 Tagen besser wurden, jedoch muss ich dabei erwähnen, dass das Mädchen von 17 Jahren zugleich Armbäder nahm wegen der durch ausgedehnte Zerbrühung beider Arme entstandenen heftigen dermatitis beider Ober- und Vorderarme, wegen welcher, da die Gefahr der Contractur dringend Abhilfe verlangte, das Mädchen mit ihrer Mutter und Kammerjungfrau von Bukarest hierher gekommen war; alle drei waren mit Keuchhusten behaftet, alle drei liess ich täglich 1 Glas warmes Thermalwasser trinken; allein die an chronischer Leberentzündung leidende Mutter vertrug das warme Thermalwasser nicht - der Keuchhusten musste bei ihr mit andern Mitteln bekämpft werden, während die Tochter und Kammerjungfrau von Tag zu Tag besser wurden, obgleich alle drei dieselbe Lebensweise beobachteten. Auch die Hautverbrühung wurde geheilt und die Narben waren so schön, wie nach dem Bestreichen mit lapis infernalis. Besonders zeichnete sich das Thermalwasser warm getrunken aus in den Fällen von übermässiger Secretion oder Schleim und daher bei phlegmatischen Individuen; weniger ersprießlich fand ich es bei mangelnder Sekretion. bb) Chronische Heiserkeit mit grossem Nutzen b) Gegen Ischias nervosa bei einer Frau, die ich wegen plazenta praevia nicht baden lassen konnte; beide Leiden wurden gehoben. c) Gegen chronische Gelenkgicht mit acutem Anfall. d) Gegen passive Gebärmutterblutung. In beiden Fällen Heilung. In anderen Fällen, wo die Kranken das Baden durchaus nicht unterlassen wollten, liess ich im ersten Jahre (bei der 1. Kur) die Kranken gar nicht trinken - im zweiten Jahr (2. Kur)

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erst nach 3 Bädern die Trinkkur damit verbinden und hatte in einem Falle, bei einem Cavallerie-Obersten von ruhigem Temperament mit Neigung zur Urolithiase, die Freude, im Verlauf der Trink- und Badekur mehrere linsengrosse Harnsteine abgehen zu sehen, was aus dem neuerlich von Herrn Prof. Redtenbacher mittelst Spectralanalyse gefundenen Lithium hervorgeht, welches nach französischen Erfahrungen vorzüglich in der Auflösung harnsauern Concremente (Steine) leisten soll.
- Originalfassung : Abschrift (buchstabengetreu) ohne Gewähr.
Anmerkungen
Brightsche Nierenkrankheit (= Nephritis chronica parenchymatosa), eine entzündliche Nierenkrankheit; Publikation des englischen Arztes Richard Bright im 19. Jh.
Venosität = Zustand, bei welchem das arterielle Blut dem venösen gleicht, insbesondere im Hinblick auf den CO2-Gehalt.
Psora = Krätze, eine Hautkrankheit, verursacht durch Milben (Sarcoptes scabiei L.)
Merkurialismus = Quecksilbervergiftung.
Ischias nervosa = heftige, meist rheumatische Hüftschmerzen mit Ausbreitung entlang der Hüft- und Schenkelnerven (= Neuralgie des Nervus ischiadicus - Malum Cotunnii).
Weiterführende und verwandte Themen :
• Dokumentation : Bader, Wundärzte - in Gastein
• Dokumentation : Dr. Gustav Pröll - Arzt im Wildbad
• Dokumentation : Bäder zu Gastein - Eble, 1834

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Quelle: Die Abschrift erfolgte buchstabengetreu von einer Kopie der Originalfassung (teilweise schwer lesbaren Kopie),
die mir freundlicherweise von Herrn Dipl. Ing. Otto Franzius zur Verfügung gestellt wurde!

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Dr. Gustav Pröll - Trinkkur in Gastein
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